Mit einem festlichen Gottesdienst im übervollen Mariendom ist am Sonntag, 12.Januar 2020 das Jubiläumsjahr eröffnet worden. Aus Köln kam dazu der Erzbischof und Metropolit der Rheinischen Kirchenprovinz, Rainer Maria Kardinal Woelki. Chöre aus der Pfarreiengemeinschaft sowie aus umliegenden Gemeinden des Dekanates gestalteten die Messfeier zusammen mit dem Bläserensemble des Stadtorchesters Andernach. Von den Emporen der Seitenschiffe herab sangen rund 160 Sängerinnen und Sänger mal gemeinsam, mal jeweils nach Chören getrennt.

Mit dem Besuch des Kölner Erzbischofs  in Andernach wurde die alte Verbindung der Andernacher zu Köln nochmal deutlich. 1167 hatte Kaiser Barbarossa Andernach dem Kölner Erzbischof und Kurfürsten Reinald von Dassel zum Geschenk gemacht. Als weltliche Autorität in der Stadt geht beispielsweise der Bau des Stadtschlosses auf ihn zurück. Ihm gegenüber stand der Trierer Erzbischof und Kurfürst, der damals (wie auch noch heute) die geistliche Instanz im katholischen Andernach ist. Man darf vermuten, dass beide bestrebt waren, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegenseitig „zu beeindrucken“. In diesen Kontext ist der Baubeginn des für die damaligen Verhältnisse doch sehr großen Mariendoms einzuordnen, von dem wir davon ausgehen, dass er um 1220 fertig war und eingeweiht wurde.

„Steinalt und atemberaubend schön“

So hat der Kardinal den Mariendom in seiner Ansprache gewürdigt. Im Rückblick auf seinen geschichtsträchtigen Vorgänger Reinald von Dassel musste er natürlich auch von den Reliquien der Heiligen Drei Könige sprechen, die der Kölner Kurfürst just zu jener Zeit in Mailand „besorgt“ hatte um sie nach Köln zu bringen.

Der Kölner Dom hat in der Verehrung der Heiligen Drei Könige seinen Ursprung und seine Bedeutung. Ein Dom, „der den Vergleich zu Ihrem in Andernach nicht scheuen muss“, bemerkte Woelki dann im Hinblick auf „seine“ Kölner Bischofskirche. „Wer sagt, dass Schönheit an Jugendlichkeit gebunden ist, sieht am Mariendom, dass das nicht stimmt. Denn der ist steinalt und atemberaubend schön.“

Ausgehend von der „Schönheit“ eines Kirchenbaus sprach der Kardinal in der Predigt von der „Schönheit der Kirche“. Das ist in der aktuellen Zeit schon ein Wagnis, so zu sprechen, denn „die Kirche“, wie wir sie wahrnehmen, macht ja derzeit eher einen ziemlich unschönen Eindruck. Doch ihre „Schönheit“ ist nicht menschengemacht, sie kommt von Gott her. Er ist die Mitte des Daseins, und aus dieser Mitte heraus ist Kirche authentisch, glaubwürdig und eben auch „schön“ – wenn der Mensch sie nicht entstellt, aus welchen Gründen auch immer.

Auch wenn Kirche allein von Gott her „schön“ ist, so ist es dennoch unser Anspruch als Christen, dieser Schönheit gerecht zu werden – oder es zumindest zu versuchen. Der Kardinal warb dafür, das eigene Leben mehr und mehr an Gott auszurichten. Viele Menschen lebten „von Tag zu Tag, von Ferien zu Ferien, von Tweet zu Tweet“, sagte Woelki in seiner Predigt. „Ohne Gott ist unser Leben in Gefahr, flach und leer zu werden und ohne Tiefe zu sein.“ Es sei die Berufung des christlichen Lebens und der christlichen Kirche, das Leben auf Gott auszurichten. „Die Begegnung mit Gott soll wieder der Höhepunkt unseres Lebens sein“. Das kann helfen, eine innere Haltung zu entwickeln, die dem Menschen die Möglichkeit gibt, als Teil der Kirche Anteil zu haben, an der in Gott begründeten „Schönheit der Kirche“.

Das Jubiläumsjahr, so faßte Woelki seine Gedanken zusammen, mag einen Beitrag dazu leisten, an der Erneuerung der lebendigen Kirche mitzuarbeiten. Gelegenheit dazu gibt es vielfältig und reichlich. Das Jahresprogramm hält da für jeden etwas bereit…

Empfang in der Mittelrheinhalle

Der zweite Teil des Tages war der Empfang in der Mittelrheinhalle, zu dem rund 600 Gäste gekommen waren. Musikalisch unterhalten von der Swinghouse Jazzband, traf man sich hier zunächst zu einer kleinen Stärkung am Mittag und zum Gespräch über den eben erlebten Gottesdienst.

Die Moderation der Festveranstaltung lag in den Händen von Frank Mertes. Pastor Stefan Dumont begrüßte in seiner Ansprache die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens aus Stadt und Kirche. Ein besonderer Gruß galt dem Festredner, dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Prof. Dr. Thomas Sternberg aus Münster.

Oberbürgermeister Achim Hütten wies in seinem Grußwort auf die identitätsstiftende Bedeutung des Mariendoms für die Stadt Andernach hin, die diese Kirche auch für andersgläubige Menschen habe.

Mechthild Heil MdB ließ in ihrem Grußwort verschiedene Perspektiven anklingen, aus denen sie den Mariendom ansieht: aus der Perspektive der Andernacherin, die „im Schatten des Doms“ groß geworden ist und als Mitglied er Pfarrgemeinde, desweiteren aus der Perspektive der Architektin, deren Familie den Dom schon über mehrere Generationen baufachlich betreut. Eine neue Perspektive ist der Blick auf die Kirche aus Sicht der Politikerin und schließlich aus der Aufgabe heraus als Bundesvorsitzende der Kath. Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd)

Von der Relevanz des Glaubens und der Kirche in unserer Zeit

In seinem Impuls-Vortrag, dessen Aufgabe es war, uns alle miteinander ins Nachdenken zu führen, sprach Prof. Sternberg zunächst von alten Zeiten in Andernach. Er hatte sich wirklich kundig gemacht über die Situation unserer Stadt zu allen Zeiten. Im 13. Jahrhundert, das für das Mittelalter einen enormen Aufbruch in neue Zeiten markierte. Das ist die Zeit, in der unser Mariendom gebaut wurde. Dann die Zeit der franz. Revolution und der folgenden Säkularisation, die in unseren Landen eine wahre Kirchenkrise ungeheuren Ausmaßes mit sich brachte, als Kirchen geschlossen und Klöster aufgelöst wurden. Schließlich auch die Neuzeit der letzten beiden Generationen, in denen in Andernach Kirchen gebaut und neue Pfarreien gegründet wurden.

Jetzt aber, so Sternberg, leben wir wieder in einer Zeitenwende. Sie zeichnet sich durch massiven Rückgang des Kirchlichen und der sichtbaren Kirche aus. Die vermehrt auftretende Haltung der Menschen unserer Zeit ist „Ich glaube nichts, mir fehlt auch nichts“. Vom Theologen Karl Rahner stammt die passende Analyse: „Sie haben vergessen, das sie Gott vergessen haben“.

Die daraus resultierenden Zahlen unterstreichen den allgemeinen Rückgang kirchlicher Relevanz: Allein im Bistum Trier sind im Jahr 2018 rund 10.000 Katholiken aus der Kirche ausgetreten. (Anmerkung aus dem Pfarrbüro: Bei uns in der PG Andernach waren es ca. 120). Die Zahl der Taufen ist deutschlandweit von 1990 bis 2018 von jährlich 300.000 auf 168.000 zurückgegangen. Die Zahl der Katholiken in Deutschland hat sich in dieser Zeit von 28 Mio. auf 23 Mio. reduziert. Trotzdem wächst die Kirche weltweit. Derzeit gehören der Katholischen Kirche 1,3 Mrd. Menschen an. Unsere deutsche Kirche macht dabei weniger als 2% aus. Auch das sei eine wichtige Einsicht für alle, die meinen, dass wir doch prägend sein müssen für die Weltkirche…

Als einen Grund für die Not der Kirche in Deutschland sieht Sternberg den Priestermangel und die daraus resultierende geistliche Verwaisung vieler Gemeinden an. Seit 1990 hat sich die Zahl der Priester um 30% reduziert in Deutschland. In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass die Bischöfe eigentlich einen Grundauftrag haben. Der besteht darin, dass sie dafür dafür Sorge tragen, dass Gemeinden eben nicht verwaisen, sondern dass die Eucharistie gefeiert werden kann. Sie ist ja nach unserem Selbstverständnis „Quelle und Ursprung“ allen kirchlichen Handelns und Lebens. So kennen wir das. Und wenn es nicht möglich ist, jede Gemeinde mit einem Priester zu versorgen, dann müsse man, so Sternberg, eben auch mal Gewohntes (konkret: die Frage der Zugangsmöglichkeiten zum priesterlichen Dienst) in Frage stellen. „So wird in der Diskussion daraus ein Schuh“.

Neue pastorale Konzepte versuchten dieser Situation Herr zu werden. Für Sternberg steht dabei der Fokus auf seelsorgliche Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen vor Ort. In vielen Dörfern seien die letzten kontinuierlichen Ansprechpersonen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gemeindebüro. Dies seien Personen, „die glauben, wie ich, und mich darin stärken“. Eine Messe bestellen könne man problemlos über das Internet, aber es komme auf zwischenmenschliche Gespräche an.

Wo aber auch das nicht mehr möglich ist, beginnt die Emigration der Treuen. Im Kontext mit all den anderen kritischen Themen unserer Tage ist zu spüren, dass sich nicht nur die ohnehin ferner Stehenden abwenden. Verunsicherung und Krise ist mittlerweile in den Kerngemeinden angekommen. Auf dem Hintergrund der großen Bedeutung, die er den einzelnen Pfarreien als Orten Glaubenslebens zuschreibt, äußerte sich der Präsident des ZDK zu Art und Weise, wie in vielen Bistümern Subsidiarität verstanden wird. Bis 1950 erhoben die Pfarreien die Kirchenbeiträge der Gläubigen. Seit der Staat diese Aufgabe übernommen hat (und das macht er nicht umsonst) fließt das Geld zunächst an die Bistümer, deren Generalvikariate seit dieser Zeit immer mächtiger werden, sodass man den Eindruck haben könnte, die Kirche würde wie ein Konzern geführt „und das nicht subsidiär, sondern von oben nach unten“.

Mit ihren Einrichtungen, die mit Hilfe der Beiträge und Steuern von den beiden großen Kirchen getragen und mitfinanziert werden (in Deutschland allein 435 kath. Krankenhäuser, rund 900 Schulen und die Hälfte aller Kindertagesstätten), sichert sich die Kirche nach wie vor gesellschaftliche Bedeutung und Relevanz. Umso schlimmer, wenn sie nur oberflächlich ist, diese Relevanz, weil die Glaubwürdigkeit der Kirche leidet und Schaden nimmt.

An der Diskussion um die Rolle der Frau kann man ganz gut erkennen, so Sternberg, dass die Kirche eine gesellschaftliche Entwicklung „verpennt“ hat, dass sie gar nicht wahrgenommen hat, wie sehr sich die Welt um sie herum verändert. „Aber unsere Gemeinden leben längst aus dem Einsatz von Frauen. Das Gesicht unserer Kirche ist vor Ort in den Gemeinden längst weiblich“.

Der nun eingeschlagene „synodale Weg“ ist  e i n  Schritt aus dieser festgefahrenen Not heraus. „Die Bischöfe haben hier in Deutschland die Hand ausgestreckt zu uns, zu den Laien. Das heißt, es war auch ein Anliegen der Bischöfe, uns als Laienstimme stärker zu integrieren, in diesen Reformprozess auch zu inkludieren. Insofern glaube ich, es ist sehr wichtig, dass die gesamte Breite kirchlichen, katholischen Lebens auch Gehör findet.“ Sternberg zitierte seinen neuen Generalsekretär Marc Frings (Anm.: ein Andernacher Jung‘), der in einem Interview mit Radio Vatican die Genese des Synodalen Weges und seine Perspektive erläuterte. Weiter erläuterte Sternberg, dass man nicht die Illusion habe, man könne von Deutschland aus der gesamten Kirche verordnen was gut ist. „Die Frage der Frauenweihe kann in Deutschland nicht entschieden werden. Aber sie muss hier diskutiert werden dürfen und dieses Ergebnis muss Eingang finden dürfen in die Diskussion der Weltkirche.“

Bestätigung für den eingeschlagenen Weg finden Bischöfe und Laien im Brief von Papst Franziskus an die Christen in Deutschland. Er schreibt nicht den Bischöfen, sondern der ganzen deutschen Kirche. Das an sich ist schon mal etwas besonderes, so Sternberg. Und es sei keineswegs so, dass der Papst den Reformdiskussionen einen Maulkorb verpassen wolle, sondern viel mehr allen Beteiligten Mut macht und sich selbst an ihre Seite stellt. Der Schlüssel für alle Diskussion und Entscheidung soll aber das Evangelium sein. Wenn der Papst von „Evangelisierung“ spricht, so Sternberg weiter, darf man das nicht einfach gleichsetzen mit unserem Begriff der Missionierung. Vielmehr geht es um „die evangeliumsgemäße Umgestaltung von Menschen und Welt – auch der Kirche.“

„Und immer wieder zu fragen: Was ist eigentlich evangeliumsgemäß?  Das ist doch eine gute Gewissenserforschung für jeden von uns.“ Auch für uns als Gemeinde(n). Die stete Frage, ob das, was wir als Gruppe, als Gremium, als Vereinigung, als Pfarrei tun, dem Evangelium entspricht, führt uns in die Selbstreflexion und läßt uns verantwortlich und glaubwürdig handeln.

Hoffnungszeichen sieht Sternberg jede Menge. Nicht bloß am Horizont, sondern auch vor Ort – hier bei uns. Mit den Worten von Papst Franziskus nennt er es „die unscheinbare Heiligkeit des Alltags“, die da aufscheint, wo Menschen achtsam sind aufeinander, wo Eltern liebevoll ihre Kinder erziehen, in den Müttern und Vätern, die arbeiten, um das tägliche Brot nach Hause zu bringen, in den Kranken und denen, die ihnen gut sind, usw. Es sind keine Komplexitäten, es ist die Normalität des Lebens, die auch im Evangelium sichtbar ist.

„Das sind die Sätze, für die ich diesen Papst so liebe“ sagte Sternberg dann. Kirche ist eben nicht die Macht der Menschen in den großen Gebäuden, nicht die Hierarchie, sondern Kirche ist das alltägliche Leben. Heilig ist nicht der Mariendom in seiner Gestalt. Seine Heiligkeit liegt in dem, was darinnen geschieht, in der Begegnung von Menschen mit Gott – in welcher Form auch immer. In der Aufrichtigkeit der Verkündigung und in der Umsetzung dessen, was der Einzelne daraus macht.

 

Text: Stefan Dumont / Fotos (Album) von KP Schmelzeisen / RZ (1) / Dumont (2) / Bischöfl. Pressestelle (3)

 

Domradio-Bericht

Rhein-Zeitung-Bericht 13.01.2020

Bericht in Andernach Aktuell 13.01.2020

Bericht in BLICK aktuell 15.01.2020