Zelt Gottes unter den Menschen • 50 Jahre Pfarrkirche St. Stephan
Am südlichen Rand von Andernach, wo die Familien damals teils noch in Baracken untergebracht waren, entstand in den 1960er Jahren ein neuer Stadtteil mit einem neuen Gemeindezentrum: ein Gebäudekomplex wie eine klassische Klosteranlage mit zwei Innenhöfen. Inspiriert vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65), sollte alles überragt werden vom „Zelt Gottes“ unter den Menschen. Der Architekt Hans Schädel formte eine Kirche für das wandernde Gottesvolk und Gemeinderäume als Ort der Begegnung. Nicht zuletzt geriet die Kirche zum Denkmal der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg: Das Holz für die Portale kam aus dem Deckengebälk des Pariser Louvre – es wurde der Gemeinde gestiftet vom damaligen französischen Kultusminister André Malraux.
Im Grundriss weist St. Stephan die Form eines Klosters auf: im westlichen Querbau die Pfarrwohnung und das Pfarrbüro, in der Mitte ein großer Gemeindesaal, im Osten die Kirche. Durch einen Gang entlang der Südmauer werden alle Teile miteinander verbunden, die zwei Innenhöfe einschließen. Im verbindenden Teil befinden sich auch die Sakristei und das Beichtzimmer, das man durch die Kirche betreten kann. Die Gesamtlänge der Anlage beträgt 92 Meter, die Breite 32 Meter. Über den Kirchenbau auf quadratischem Grundriss (etwa 35 x 35 Meter) wölbt sich eine kegelförmige Kuppel mit einem Durchmesser von 25 Metern.
Wer St. Stephan betreten möchte, geht zunächst durch den Innenhof (Lichthof) des Gemeindezentrums (zwischen Kirche und Gemeindesaal). Auf der rechten Seite befindet sich „im römischen Verbund der Basaltplatten eine Platte mit astronomischen Zeichen“: der Ort für das Osterfeuer. Rechterhand wird aus gewaltigen Steinen ein Brunnen gebildet, dessen Wasser unter der Kirchenmauer bis in den Taufbrunnen strömt. Die Deckenkonstruktion der Zelt-Kirche wird von vier „Säulen“ getragen. In der Mitte der Kuppel, direkt über dem Altar, fällt durch eine Öffnung das Tageslicht. Der Innenraum ist mit schwarzem Lava und Basalt ausgekleidet. Nur die östliche Rückwand aus dünnen weißen Marmorscheiben lässt morgens das Sonnenlicht herein.
Der Kirchenraum auf quadratischem Grundriss wird von einer kegelförmigen Kuppel überfangen. Im Zentrum ruht der Altar auf einer achteckigen zweistufigen Insel. Ebenfalls um zwei Stufen erhöht, stehen im Osten der Ambo und die Sedilien. Mittig vor der Ostwand sticht der markante Vorstehersitz ins Auge. Wichtige liturgische Orte verbinden sich mit den vier „Säulen“, welche die Decke stützen: An der Rundstütze neben dem Ambo findet sich der Buchstein, auf dem das Evangelium ruht. Auf der linken Seite vor der Marmorwand ist der Tabernakel aufgebaut. Die dritte „Säule“ markiert den Taufbrunnen, der über das fließende Wasser den Innen- mit dem Außenraum verknüpft. An der vierten Rundstütze kann eine abstrakte reliefierte Metallarbeit als Mariendarstellung verstanden werden.
Im Innern der Kirche, links neben dem Turmeingang, steht eine bronzene Marienfigur des Künstlers Egino Weinert. Direkt daneben findet sich der Grundstein aus einem Fragment aus der Kathedrale St. Etienne in Toul, der Partnergemeinde von Andernach. Gerade bei den wichtigen liturgischen Orten (Altar, Ambo, Sedilien, Tabernakel, „Buchstein“, Taufbrunnen und Mariendarstellung), aber ebenso bei Akzenten im Außenraum wie der äußeren Brunnengestaltung, durchdringen sich die Ideen des Würzburger Architekten Hans Schädel mit den Ansätzen des Pariser Bildhauers Pierre Székely. So entstanden organisch durchgeformte, funktional durchdachte und zugleich deutungsreiche Kunstwerke. Aus dem zylindrischen Altarstein beispielsweise ragt zur Seite ein weiterer Stein, der Reliquien des Einsiedlers Simeon (12. Jahrhundert) birgt. Ihm schräg gegenüber trägt ein zweiter, noch mächtigerer Stein („Lichtarm“) sieben Kerzen für die sieben Sakramente.
Der Bau des Gemeindezentrums St. Stephan war Mitte der 1960er Jahre zwei Notwendigkeiten geschuldet: Einerseits wuchs Andernach damals immer weiter nach Süden, andererseits lebten hier viele kinderreiche und sozial benachteiligte Familien. Der Bauherr der Kirche, Günter Schmidt, zuvor Kaplan an St. Albert (Andernach), nahm sich dieser neuen Gemeindeglieder als Pfarrvikar bzw. Pfarrer von St. Stephan an. Begeistert durch die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums, wurde unter seiner Leitung am 19. Juni 1966 der Grundstein gelegt. Nach etwa zweijähriger Bauzeit erfolgte am vierten Fastensonntag, am 24. März 1968 die Weihe der neuen Kirche durch den damaligen Bischof Dr. Bernhard Stein. Architekt des Gemeindezentrums war der Würzburger Dombaumeister Hans Schädel, den man nach einem Wettbewerb beauftragt hatte.